Die Progressive Muskelentspannung (PME), auch Progressive Relaxation (PR) genannt, ist eine bewährte und effektive Methode, um Stress abzubauen und zu mehr seelischer und körperlicher Ausgeglichenheit zu gelangen. Sie wurde vom amerikanischen Arzt Edmund Jacobsen (1885-1976) entwickelt, der sie als „Lebensstil“ bezeichnete, der es ermögliche, der Hektik der heutigen Zeit entgegenzuwirken.
Die Progressive Muskelentspannung ist leicht erlernbar, kommt ohne äußere Hilfsmittel aus, und kann fast überall und unter relativ einfachen Bedingungen im (Arbeits)Alltag durchgeführt werden. Wegen ihres pragmatischen und „handfesten“ Charakters ist sie besonders gut als Einstieg in Entspannungstrainings und zur Schulung der Achtsamkeit geeignet. Kurzvarianten der Progressiven Muskelentspannung können gezielt eingesetzt werden, um in akuten Stress-Situationen die Anspannung zu senken.
Grundprinzip und Übungsablauf
Das Prinzip dieser Entspannungsmethode besteht darin, einzelne Muskelgruppen zunächst einmal anzuspannen. Dies erscheint erst einmal widersprüchlich, kann jedoch am besten mit der Funktionsweise eines Pendels verdeutlicht werden: Wird dieses zunächst in eine Richtung gezogen, setzt beim Loslassen eine entsprechend starke Gegenbewegung ein. Durch die vorherige Anspannung wird also die nachfolgende Entspannung deutlicher empfunden.
Eine wichtige Rolle beim Üben spielt die Aufmerksamkeit. Sie ist immer auf die unterschiedlichen Empfindungen vor, während und nach der Muskelanspannung gerichtet. Je differenzierter man diese verschiedenen Zustände unterscheiden kann, desto geschulter wird die Selbstwahrnehmung. So können später auch in Alltagssituationen auftretende psychische und physische Anspannung immer früher erkannt und rechtzeitig entgegenwirkt werden.
Die Progressive Muskelentspannung kann im Liegen, Sitzen und – bei entsprechender Übungserfahrung – auch im Stehen praktiziert werden. Der Übungsauflauf gliedert sich in folgenden Phasen.
Die 5 Übungs-Phasen / Schritte
Phase 1 – Hinspüren: Die Konzentration wird auf die jeweilige Muskelgruppe gerichtet und dient dazu, die Muskeln überhaupt einmal als solche wahrzunehmen und sich vor der Anspannung den aktuellen Zustand der Muskulatur bewusst zu machen
Phase 2 – Anspannen: Die jeweilige Muskelgruppe wird deutlich angespannt, um zu erkennen, wie sich die Muskeln im angespannten Zustand anfühlen. Das Anspannen soll dabei deutlich wahrnehmbar sein, ohne dabei zu verkrampfen.
Phase 3 – Spannung halten: Die Spannung wird ca 7-10 Sek. gehalten. Dabei konzentriert man sich auf die Empfindungen in der betreffenden Muskelpartie.
Phase 4 – Loslassen: Auf ein Signalwort „Loslassen“ wird die Muskelspannung gelöst.
Phase 5 – Nachspüren: Die Aufmerksamkeit wird ca. 30 Sekunden auf die betreffende Muskelgruppe gerichtet und dabei alle auftretenden Empfindungen wahrgenommen, ohne diese zu bewerten. Diese Phase ist deutlich länger als die Anspannungsphase, um genug Zeit zum Nachzuspüren zu haben.
Die 17 Schritte
Die Übungsabfolge in der Grundform enthält üblicherweise 17 Schritte:
Hände und Arme: Aktivere Hand und Unterarm, Aktiverer Oberarm, Andere Hand und Unterarm, Anderer Oberarm
Gesicht: Stirn, Augen und Nase, Mund- und Kieferbereich, Nacken und Hals
Rumpfbereich: Schultern, und oberer Rückenbereich, Bauchmuskulatur, Gesäß und Beckenbodenmuskulatur
Beine und Füße: Aktiver Oberschenkel, Aktiver Unterschenkel, Aktiver Fuß, Anderer Oberschenkel, Anderer Unterschenkel, Anderer Fuß
Nach dem Durchgehen aller Muskelgruppen bleibt man einige Zeit in der bewussten Wahrnehmung des Entspannungszustandes und beendet anschließend die Übung durch aktives Strecken der Arme und Beine und tiefem Ein- und Ausatmen. Diese Zurücknahme der Entspannung ist wichtig, damit der Körper sich – ähnlich wie nach dem Schlafen – wieder auf den Wachzustand einstellen kann.
Die Wirkung der PME geht über den momentanen Entspannungseffekt hinaus. Regelmäßiges Üben bewirkt positive Veränderungen im Körper. Die Aktivität des Sympathikus (Teil des vegetativen Nervensystems, das den Kampf-oder-Flucht-Reflex steuert) nimmt ab, gleichzeitig wird der Parasympathikus aktiviert, der für Entspannung und Erholung sorgt.
Diese Methode ist besonders für Menschen geeignet, die mit anderen Entspannungsverfahren (z.B. dem Autogenen Training) nicht so gut zurechtkommt.